Idylle ist nicht alles
Was macht das Leben in einer Gemeinschaft wie dem Bruderhof reizvoll? Meine zwei Kolleginnen und ich haben es getestet. Ich bin ein bisschen parteiisch, weil mir dort vieles grundsätzlich zusagt. Und trotzdem würde ich der Gemeinschaft nicht so bald beitreten. Von Timo König
Nach einem langen Videodreh-Tag mit Daniel folgte das Abendessen im Gemeinschaftssaal der Sannerz-Gemeinschaft. Es fühlte sich so wohlig an wie auf einer christlichen Freizeit meiner Kindertage. Und kurz danach versammelten sich alle ums Lagerfeuer zu Gesang und Gitarrenspiel. Von den Liedern kannte ich keines, sie drehten sich um Gott und die Schönheit der Schöpfung. Ich stelle mir vor, dass Pfadfinderlieder vor hundert Jahren vielleicht so geklungen haben. Aber der schöne mehrstimmige Gesang verriet mir: Hier wird viel und gerne gesungen. Danach gab es Marshmallows, die zwischen zwei Schokokeksen den Mitternachtssnack darstellten.
Irgendwie konnte ich danach nicht wirklich schlafen. Nicht wegen der Marshmallows. Es waren eher die neuen Eindrücke und vor allem die Erwartung des nächsten Tages. Denn wir Volontäre hatten uns den folgenden Tag reserviert, um am Leben der Bruderhöfer teilzunehmen und die Gemeinschaft so noch besser kennenzulernen. Wie fühlt es sich wohl an, in dieser Welt ohne Geld und Privatbesitz zu leben?
Konversation schlägt Arbeit
Der nächste Morgen begann mit Frühstück um 6:15 Uhr. Wer vorher noch duschen oder sonstige Geschäfte erledigen will, steht dementsprechend früher auf. Ganz schön sportlich, finde ich. Um sieben geht es an die Arbeit. Das weltweite Netz der Bruderhöfer betreibt unter anderem ein Möbelunternehmen für das in Sannerz einige Teile gefertigt werden. Als ich in die Werkstatt kam, waren schon einige Leute da. Ein junger Mann namens Phil unterbrach seine Arbeit an einer Tischlermaschine und zeigte mir, wie ich mich nützlich machen kann: Schaumstoffleisten in eine For stecken und anhand dieser Schablone mit einem Messer zurechtschneiden. Nicht besonders anspruchsvoll. Und wahrscheinlich wäre mir schnell langweilig geworden, wenn es mir gegenüber nicht einen leeren Arbeitsplatz gegeben hätte und Phil sich zu mir gesellt hätte.
So konnten wir uns besser unterhalten. Wir tauschten uns darüber aus, welche Länder wir schon bereist haben, was wir gerne am Wochenende machen und auch, an was wir glauben und wie wir leben. „Wir nutzen die gemeinsame Arbeit gerne, um uns zu unterhalten. Besonders mit Gästen“, erklärte Phil mir. Die Begegnung von Mensch zu Mensch ist wichtiger als die eigentliche Arbeit.
Der bessere Kommunismus?
Nach einiger Zeit schlug Phil vor, dass wir den Arbeitsplatz wechseln. Also fingen wir an, Bodenplatten für Möbel zu laminieren. Irgendwie schien es überhaupt keinen Stress oder Druck zu geben. Man macht halt das, was gerade am besten passt. Vielleicht ist es in der Realität anstrengender und die Bruderhöfer haben für uns Gäste das Tempo ein bisschen heruntergefahren. Aber selbst wenn. In der Gemeinschaft steht ja bedingungslose Annahme und der gemeinsame Glaube im Vordergrund, nicht Konkurrenzdenken. Egal, ob man Schaumstoff zurechtschneidet oder das ganze Unternehmen leitet: Keiner bekommt mehr als der andere. Da spielt Leistungsdruck keine Rolle.
Aber was ist, wenn jemand lieber den ganzen Tag Playstation spielt und die Gemeinschaft ausnutzt? Unser Video-Protagonist Daniel erklärte mir, dass es auf dem Bruderhof so etwas wie eine Playstation nicht gebe und fügte hinzu: „Ich habe noch nie erlebt, dass jemand einfach nur herumsteht, wenn es etwas zu tun gibt.“ Irgendwie kann ich das nicht richtig glauben. Aber Daniel sagt: „Hier herrscht einfach eine Atmosphäre, in der man gerne arbeitet.“ Wahrscheinlich liegt es daran, dass auf dem Bruderhof nur Menschen leben, die von ganzem Herzen hinter der Bruderhof-Vision stehen. Ihre Motivation zur Arbeit ist nicht die Gehaltserhöhung oder das Ferienhaus an der Adria. Sie wollen in erster Linie Gott dienen.
Leben als (Fast-) Selbstversorger
In der Mittagspause gab es einen einfachen aber leckeren Eintopf unter freiem Himmel (die Hauptmahlzeit gibt es abends). Dann ging es weiter. Diesmal zog ich mit anderen Männern aufs Feld, Unkraut jäten. Jetzt brach auch wieder die Sonne zunehmend durch die Wolkendecke. Den Kopf zwischen die Pflanzen zu stecken, mit den Händen im warm-feuchten Boden zu wühlen, während um mich herum Käfer und Bienen summen. Wie lange hatte ich das nicht mehr gemacht! Und es fühlte sich gut an. Ist der Mensch nicht ursprünglich für den Garten geschaffen worden? Die Natur ist unser ursprünglicher Lebensraum. Dieser Erdboden ist ja sogar der Stoff, aus dem wir gemacht sind: „Da formte Gott, der Herr, aus Erde den Menschen“, berichtet die Bibel in 1. Mose 2,7.
Meine beiden Kolleginnen halfen währenddessen beim Beerenpflücken und Bohnen für das Abendessen vorbereiten. Gemüse muss die Gemeinschaft so gut wie gar nicht einkaufen. Zwiebeln, Mohrrüben, Rotkohl, Spargel, Mais: Alles pflanzen sie selbst an. An Nahrungsmitteln kaufen sie fast nur Fleisch im Ort ein. Sie halten aber auch Schafe und ein Schwein. Für mich ist Selbstversorgung ein Traum. Keine Abhängigkeit von plastikverschweißten Analogprodukten, von Handelsketten und dem Finanzsystem. Diese Maschinerie versorgt uns nur, solange sie funktioniert und wir hängen an ihr wie ein Patient am Tropf.
Es geht nicht um Idylle
Als wir vom Feld zurück auf den Hof kamen, hatten die Frauen schon Kekse gebacken. Selbst diejenigen Hardcore-FeministInnen, die jetzt durchdrehen, hätten sich dieser Idylle wahrscheinlich nur schwer erwehren können. Unterstrichen wird die Harmonie auf dem Hof von vielen Blumen, besonders von der von Weinreben umschlungenen Holzveranda, auf der im Schatten einer jahrhundertealten Eiche die gemeinsamen Kaffeepausen abgehalten werden.
Nach diesem einen Tag habe ich sicher nur einen sehr vagen Blick auf den Bruderhof erhaschen können. Vielleicht würde ich nach einer Woche oder einem Monat einiges anders sehen. Aber leben in Natur samt Selbstversorgung ist für mich ein Traum.
Allerdings ist das alles nur ein Teil der Wahrheit. Denn Daniel sagte mir ausdrücklich: Idyllisches Landleben ist nicht das, worum es beim Bruderhof geht. „Wir haben auch Gemeinschaften mitten in Großstädten, zum Beispiel in London und New York, um dort mit den Menschen in Kontakt zu kommen.“ Und man kann sich nicht aussuchen, auf welchem Bruderhof man gerne leben möchte. Wenn die weltweite Gemeinschaft jemanden gerade auf einem anderen Hof braucht, wird er dorthin abberufen. Von daher arbeiten auch nicht alle in der Natur, viele gehen „normalen“ Berufen nach. Und auch einige der Jugendlichen in Sannerz machen eine Ausbildung in nahegelegenen Orten.
Wäre das was für mich?
Wer also auf der Suche nach einer natürlicheren Arbeits- und Lebensweise ist, wird mit dem Bruderhof nur bedingt glücklich werden. Diese Dinge sind dort positive Nebeneffekte eines Lebensstils, der sich um etwas anderes dreht: Das selbstlose Leben in Gemeinschaft. Und auch das kommt in unserer Gesellschaft sicherlich zu kurz und wäre durchaus bedenkenswert. Aber nicht selbst entscheiden können, wo ich für wie lange wohne? Nein, das würde ich nicht wollen. Ein Mehr an Gemeinschaft heißt für mich nicht unbedingt, meinen Wohnort von einem Kollektiv bestimmen zu lassen.
Ich werde also wohl nicht so bald ein Bruderhöfer werden. Aber es gibt dort vieles, was mir gut gefällt. Keine Karrieregeilheit, sondern ein genügsames Leben in der Natur, zusammen mit anderen Christen. Eine schöne Vorstellung. Vielleicht sollte ich irgendwann meinen eigenen Hof gründen.